Die Jahresberichte der höheren Schulen Preußens

Die Jahresberichte der höheren Schulen in Preußen stellen eine Quellengattung dar, die bis heute wenig bekannt und genutzt ist. Seit 1824 lieferten die Gymnasien, später auch Realgymnasien und Oberrealschulen, einen ausführlichen Bericht ab über Unterrichtsstoffe, Prüfungsaufgaben, Stundenverteilung, Jahreschronik etc. Man kennt quasi „sämtliche Aufsatzthemen, die jemals in Preußen gestellt wurden“. Man erhält einen gesellschaftsgeschichtlichen Einblick über Jahrzehnte bis 1940. Nur zwischen 1915 und 1920 gab es eine Lücke wegen Geld- und Papiermangels. – Von Mangel konnte ansonsten keine Rede sein bei Schulen, die über Sonderräume und Freiflächen, auch Lehrerzimmer für Damen und Herren, schmuckvolles Ambiente, Material ohne Ende, ergänzendes Personal, da und dort eine Schulkrankenschwester und vieles mehr verfügten.

Eine große Bedeutung hatte in dieser Publikationsform stets die Präsentation von Lehrkräften: kleine Biographien, Wohlergehen und Probleme, Traueranzeigen. Beinahe jedem ist die Rolle und Wirksamkeit von Lehrkräften gewissermaßen naturgemäß eindrücklich und erinnerlich. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert aber stellten sie namentlich für das Bildungsbürgertum mit seinen Lebensentwürfen und obrigkeitsorientierten Lebensformen eine Instanz von großer perspektivischer Bedeutung dar, nicht zuletzt wegen ihrer Zuteilungsgewalt. Mit diesem Gewicht waren sie ausgestattet, mussten es nicht auf einer demokratischen Ebene von sich aus erwerben. – Auch die früher nicht seltenen Sterbefälle im Laufe eines Schuljahres unter Schülern und Lehrern, heutzutage glücklicherweise sehr ungewöhnlich im Schulalltag, verlangten Aufmerksamkeit und Würdigung: kaum ein Jahresbericht ohne die Mitteilung über Sterbefälle, die durch Erkrankung oder Unfälle verursacht wurden. Gab es ein Jahr ohne Trauerfälle, war das immer einer besonderen Erwähnung wert: „In diesem Jahr müssen wir nicht über den Verlust eines Mitglieds unserer Schulgemeinschaft berichten.“

In einem zweiten Teil der Darstellung wird das Faksimile eines Jahresberichts angeboten: Köllnisches Gymnasium in Berlin-Mitte, Schuljahr 1912-13, damit die Interessenten einmal etwas in der Hand haben und diesem Quellenmaterial nicht allein in digitaler Form begegnen oder in Auszügen. Die Anmutung von „Kathedralen der Bildung“ lässt sich ohnehin schwer aufrufen in Zeiten einer unbegreiflichen Übernutzung und Verwahrlosung von Schulstandorten.

>>> Publ. 26

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