Stufen zum Schafott. Der Berliner Stadtschulrat und Oberbürgermeister von Görlitz: Hans Meinshausen

Ein Fachbuch. Die Geschichte eines überzeugten Nationalsozialisten, der seine Hoffnungen auf das Denken des „Dritten Reiches“ wendete: als Stellvertretender Gauleiter, dann Stadtschulrat von Berlin. Dem Mann fehlte Charme, auf jeden Fall Fortune. Goebbels mochte ihn nicht mehr haben, wie viele andere nicht. Das Einvernehmen hatte keine Perspektive. 1944 wurde er Oberbürgermeister in Görlitz an der Neiße.

Die Sowjets und die Akteure der Sowjetzone schwatzten ihn 1947 den Amerikanern wieder ab. Hatten General Clays Leute nicht aufgepasst, als der Kalte Krieg bereits über den Horizont stieg? In einem frühen Schauprozess wiederum in Görlitz – laut SED einem „Nürnberg der Zone“ – werden ihm bestialische Kriegsverbrechen vorgeworfen. Eine solche Schuld hatte er nicht auf sich geladen.

Das Ende: Tod durch das Fallbeil im Oktober 1948 in Dresden wegen der allgemeinen Mitschuld am NS-System und „vorsorglich“ zum Schutz vor vor einem versierten Propagandisten beim Aufbau des neuen, sozialistischen Staates. Nichts hatte den offenkundigen Unsinn des justiziellen Bühnenstücks stoppen können, dieser Als-Ob-Justiz einer neuartigen „Demokratie“.

What’s the story behind this? So hatte jemand von der US Army zwischendurch schon einmal gefragt. Jetzt wissen wir es: Es ging um ein „Pilotprojekt“ der politischen Polizei in Abstimmung mit Ulbricht und Mielke zur Machtdurchsetzung gegenüber der Justiz und natürlich der Bevölkerung – auf dem Weg in die bald zu gründende DDR und zum künftigen Ministerium für Staatssicherheit.
Hensel bietet Lückenschließung und fesselnde Dokumentation für viele, denen die Gefahren in unheilvollen Zeiten nicht geläufig sind: das Eifern, die Unwahrheit und „das Streben nach dem Ideal“ jener, die mit unbedingter Glaubensgewissheit über Leichen gehen (Isaiah Berlin).

Ein Lesebuch. Das Fachbuch verlangt den großen wissenschaftlichen Apparat, der Richtigkeit und Verlässlichkeit gewährleistet. Davon muss sich aber der Interessent nicht erschrecken lassen. Rolf Hensel gelingt es, nicht allein den fachlichen Informationsbedarf zu bedienen, sondern in einer gut zu lesenden Darstellung mitzuziehen und in quasi portionierenden Abschnitten über Menschen und Umstände der Gesellschaftsgeschichte zu berichten. Die dichte Folge von Szenen in diesem „Lesebuch“ haben nicht nur mit dem stalinistischen Prozess von 1948 und seinen bizarren Zügen zu tun, sie beleuchtet viele Situationen: die Kampfzeit der NSDAP, die Schule der Dreißiger, Schulleute im Widerstand, das Kriegsende im Südosten, das Ringen der SED um Macht.

Die biographischen Skizzen fassen die Gebildeten unter den Verehrern und Verächtern von Humanität (Schleiermacher) in den Blick: den Gewerbelehrer und Gauleiter Schlesiens Karl Hanke, den Ankläger und Generalstaatsanwalt in Sachsen Rolf Helm, daneben den faszinierenden Anwalt Carl-Albert Brüll, den Mann der Geheimpolizei Karl Mellmann, auch Walter L. Dorn von der U.S. Army, die oppositionelle Studienrätin Elisabeth Schmitz und ihre Oberschulrätin Hedwig Thöne, manche Berliner Schulleute im „Dritten Reich“ wie Martin Löpelmann, Otto Zander, Walter Schönbrunn und viele andere.

>>> Publ. 22

Hans MeinshausenJoseph GoebbelsRolf HelmWalter Ulbricht Von links: Hans Meinshausen, Joseph Goebbels, Rolf Helm, Walter Ulbricht

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